Hier finden Sie früher vorgestellte Archivalien.
Aus den Magazinen des Landesarchivs (April 2022)
Mittelpunkt und Träger der ostfriesischen Geschichte – Ein Gutachten bereitete den Weg zur Gründung des Staatsarchivs Aurich vor 150 Jahren (NLA AU Rep. 15 Nr. 1554, NLA AU Rep. 243 Nr. A 199, NLA HA Hann. 122 a Nr. 1428
Am Anfang war Osnabrück. Auf diese ein wenig seltsam klingende Formel kann die Gründungsgeschichte des Königlich Preußischen Staatsarchivs in Aurich zurückgeführt werden. Denn kaum war 1869 in Osnabrück ein eigenes Provinzialarchiv eingerichtet worden, entstanden auch schon Pläne, das „vormalige ostfriesische Archiv“ – gemeint waren die noch in Aurich lagernden Unterlagen des früheren Fürstentums Ostfriesland – in dieses neue Osnabrücker Archiv zu überführen.
Gegen dieses Vorhaben regte sich in Aurich allerdings vehementer Widerstand. Die für die Verwaltung Ostfrieslands zuständige Zentralbehörde, die Landdrostei in Aurich, betonte, der ostfriesische „Local-Patriotismus“ würde „sich auf das Unangenehmste verletzt fühlen (…), wenn das Archiv aus Ostfriesland weggebracht werden würde“. Da jedoch bei der preußischen Archivverwaltung Zweifel bestanden, ob die ostfriesischen Unterlagen umfangreich genug wären, um für einen Archivbeamten eine eigene Stelle einzurichten, wurde der Geheime Archivrat Dr. Roger Wilmans beauftragt, sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen.
Im Frühjahr 1870 besuchte Wilmans Aurich und verfasste ein ausführliches 48-seitiges Gutachten, von dem er am 27. April 1870 eine Kurzfassung an die Landdrostei schickte. Seiner Ansicht nach boten die Unterlagen in Aurich ausreichend Arbeit, um einen Archivar für mindestens zehn Jahre zu beschäftigen. Darüber hinaus sah er jedoch auch ein gewaltiges Entwicklungspotential für ein eigenständiges Staatsarchiv. Denn „bei dem historischen Sinne der Ostfriesen, bei ihrer Liebe zur vaterländischen Geschichte“ könnten auch die Archivalien der ostfriesischen Städte, Korporationen und Herrlichkeiten in das neue Archiv aufgenommen werden, um dieses „hierdurch zum eigentlichen Mittelpunkt und Träger der auf die Erforschung der Ostfriesischen Geschichte gerichteten gelehrten Bestrebungen zu machen.“
Die preußische Archivverwaltung schloss sich dieser Einschätzung an. Mit der Übergabe des Archivs vor 150 Jahren – genauer gesagt am 9. April 1872 – an den ersten wissenschaftlichen Auricher Archivbeamten, Dr. jur. Ernst Friedländer, war das „kleinste preußische Staatsarchiv“ ins Leben getreten. Allerdings war das Archiv zunächst mehr schlecht als recht in Räumen des Auricher Schlosses untergebracht. Erst 1890 erhielt das Staatsarchiv einen eigenen Zweckbau, der bis in die 1960er Jahre das Auricher Archiv beherbergen sollte.