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Aus den Magazinen des Landesarchivs (September 2022)

Der „Stockhausensche Gebähr-Stuhl“, 1784 (NLA AU Rep. 48 Nr. 50)


 
 

Seitdem 1744 Ostfriesland vom Königreich Preußen in Besitz genommen wurde, lag das Augenmerk der Regierung in Berlin, ganz im Sinne der Aufklärung, auch auf dem gesundheitlichen Wohl der Einwohner und Einwohnerinnen in der fernen Provinz. Die besondere Aufmerksamkeit richtete sich dabei auf das ihrer Auffassung nach ungenügende Hebammenwesen.

In Ostfriesland gab es im 18. Jahrhundert außer in Emden keine von der Obrigkeit besoldete Amtshebamme. Gerade auf den Dörfern standen sich die Frauen als Nachbarinnen während der Geburt gegenseitig bei und wählten aus den eigenen Reihen eine besonders Erfahrene und Geübte zur Hebamme. Gerade diese Frauen galten in den Augen des Ober-Collegiums Medicum in Berlin jedoch als nicht geeignet, da sie zwar über einiges Erfahrungswissen verfügten, aber keine theoretische Ausbildung genossen hatten und in der Regel zwar vom Pfarrer vereidigt, aber nicht von der Regierung approbiert waren. Dieser Umstand, so die allgemeine Auffassung der Mediziner, war verantwortlich für eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Totgeburten und unter oder kurz nach der Geburt verstorbenen Müttern.

Um diesem Mangel abzuhelfen, schlug das an der Charité angesiedelte Ober-Collegium Medicum 1769 vor, dass alle künftig zu bestellenden Hebammen zunächst die Hebammenschule in Berlin besuchen sollten. Dieses Ansinnen konnte die Kriegs- und Domänenkammer in Aurich jedoch nicht unterstützen. Der Weg sei zu weit, lautete ihre Begründung, auch die Kosten für Reise, Unterkunft und Approbation könnten die aus den unteren Schichten stammenden Frauen nicht tragen. Zudem sprächen die Hebammen kaum Hochdeutsch und könnten schon allein deshalb dem Unterricht gar nicht folgen. Auch andere Versuche, die Bereitschaft zu fördern, sich als Hebamme ausbilden zu lassen, wie z.B. die Erlassung von bestimmten Abgaben sowie freier Kirchensitz und eine kostenlose Beerdigung, hatten nicht den gewünschten Effekt.

Gleichwohl bemühte sich die Regierung in Berlin auch weiterhin, das Hebammenwesen zu verbessern. In diesem Zusammenhang ist die hier abgebildete Zeichnung eines Gebärstuhls einzuordnen. Am 9. November 1784 erging eine königliche Verordnung, nach der sämtliche Beamte, Magistrate und Gerichts-Obrigkeiten die Einwohner dazu ermuntern sollten, einen Gebärstuhl, „dessen Nützlichkeit vom Ober-Collegio medico in Berlin anerkannt worden“, anzuschaffen, weil bei der bisher üblichen geburtshilflichen Unterstützung die Gebärende unnötig leide und das Kind eher zu Schaden kommen könnte. Die hier abgebildete Zeichnung wurde angefügt und die Anschaffungskosten mit vier Reichstalern angeben. Falls die örtliche Hebamme die nötigen Mittel nicht aufbringen könne, solle der Stuhl nach Möglichkeit aus der Kämmereikasse oder sonstigen Gemeindekassen finanziert werden. Im Juli des folgenden Jahres übersandte die Regierung ein weiteres Schreiben gleichen Sinnes mit einer Zeichnung des nunmehr nochmals verbesserten Gebärstuhls und dem Hinweis, bei welchem Tischler in Berlin man diesen zu fünfeinhalb Reichstaler beziehen könne.

Leider geben die Quellen keine Auskunft darüber, ob diesem Vorschlag entsprochen und derartige Stühle angeschafft wurden.

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