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Aus den Magazinen des Landesarchivs (Mai 2024)
„Maßnahmen zur Bekämpfung des (aus Nordamerika eingeschleppten) Colorado- bzw. Kartoffelkäfers“ 1874-1894 (NLA OL Best. 136 Nr. 8638)
Eigentlich ist er ein ganz hübscher: der Colorado- oder Kartoffelkäfer hat zehn gelb-schwarze Streifen und ist von Färbung und Muster seines Panzers auffällig. Aber er ist auch ein schwerer Schädling für Kartoffeln und hatte sich in Windeseile in den USA verbreitet und in vielen Bundesstaaten schwere Ernteschäden hinterlassen.
Der Kartoffelkäfer stammt ursprünglich aus dem amerikanischen Bundesstaat Colorado - daher auch sein Name - und hatte vor der Verbreitung der Kartoffel ursprünglich ein heimisches Nachschattengewächs befallen. Von dem USA aus gelangte der Käfer Ende des 19. Jahrhunderts mit Schiffstransporten nach Europa. Schon für 1877 sind erste Funde aus den Häfen in Liverpool, Rotterdam und Mühlheim am Rhein belegt. Da er in Europa keine natürlichen Fressfeinde hatte, breitete er sich auch dort rasch Richtung Osten aus, in Europa ausschließlich die Kartoffelpflanze schädigend. Die europäischen Länder verhängten nach der Einschleppung nach Europa Protektionsmaßnahmen und verboten Importe von Kartoffeln und deren Abfällen. Nachdem der Käfer in Deutschland erstmals entdeckt worden war, verhinderten Frankreich und Großbritannien per Verbot Kartoffeleinfuhren aus dem deutschen Reich. Schiffsführer, die zwischen Amerika und Europa verkehren, erhielten die Anweisung, auf ihren Schiffen auf den Käfer zu achten und ihn gegebenenfalls zu töten.
Rasch trafen auch die Regierungen der deutschen Einzelstaaten Maßnahmen. Zunächst wurde auch der amerikanische Kartoffelimport im Freihafen Brake, der vom Importverbot seitens des Reiches nicht betroffen war, 1875 per Polizeiverordnung verboten. Dann galt es Aufklärung zu leisten und die Bevölkerung vor dem Käfer zu warnen. Dies geschah im Großherzogtum Oldenburg durch die Versendung von Plakaten und kleinen Informationsbroschüren, die in den Schulen verteilt und an öffentlichen Orten ausgehängt werden sollten. Spielzeugfirmen sowie die Kölner Schokoladenmarke Stollwerck erkannten eine Marktlücke und produzierten maßstabsgerechte Modelle der Entwicklungsstadien des Käfers. Aus Gummi geformte Modelle von Eiern, Puppe, Larve und ausgebildetem Käfer wurden in einem Glaskästchen präsentiert und diese im Lande in den Ämtern und Gemeinden verteilt. Als Multiplikatoren wurden die rund 1000 Gemeindevorsteher, Geistlichen und Lehrer des Großherzogtums ausersehen. In Preußen bildete sich eine vom Landwirtschaftsministerium einberufene Sachverständigenkommission, die 1878 ihren Bericht zur Käferbekämpfung vorlegte.
Einzelauftreten des lebenden Käfers in den Häfen Hamburg und Bremerhaven führte zu einer noch verstärkten Wachsamkeit. Alarmierend war das unerklärlich bleibende Auftreten in einigen Feldern an weit von den Küsten entfernt liegenden Orten in den preußischen Provinzen Hannover und Sachsen. Eine größere Ausbreitung im Reich konnte durch rigide Maßnahmen, z.B. auch eine strafbewehrte Meldepflicht und Überwachungspflicht der Felder, letztendlich verhindert werden. Die angespannte Wachsamkeit indes macht der folgende Vorfall anschaulich: Eine eilends per Telegramm verschickte Alarmmeldung von einem Coloradokäfer-Befall in Vechta 1878 entpuppte sich bei näherem Hinsehen rasch als Fehlalarm und man konnte Entwarnung geben: es handele sich lediglich um den Marienkäfer! In Oldenburg (auch in den Landesteilen Lübeck und Birkenfeld) wurde eine auf den Empfehlungen der preußischen Kommission beruhende gedruckte Instruktion zum Verhalten verteilte, sollte es tatsächlich einmal zu einem starken Befall auf Feldern kommen. Unter den Bekämpfungsmitteln war eine Hauptmaßnahme die ökologisch sicher nicht unbedenkliche Anwendung von großen Mengen Petroleum auf betroffenen Pflanzen und Böden, um die Larven und Puppen des Käfers abzutöten; erst später entwickelte man effektive Schädlingsbekämpfungsmittel. Während die innereuropäischen Importverbote bald wieder aufgehoben wurden, blieb der Verbot der Kartoffelimporte aus den USA für mindestens 15 Jahre bestehen.