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Aus den Magazinen des Landesarchivs (Februar 2021)

Überflutung des Archivgebäudes in Hannover durch Leinehochwasser (1946) (NLA HA BigS Nr. 7488)


Hochwassermarke am Archivgebäude in Hannover   Bildrechte: NLA

Die Marke am Dienstgebäude des Niedersächsischen Landesarchivs zeigt die beeindruckende Höhe von 2,20 m und weist auf eine der größten Katastrophen hin, die je über die Stadt Hannover hereingebrochen sind. Das sogenannte „Leine-Hochwasser“ vom Februar 1946 traf die von den Bomben des Zweiten Weltkriegs schwer getroffene Stadt Hannover weitgehend unvorbereitet. Der hannoversche Staatsarchivar Hans Goetting berichtet als Augenzeuge: „Als ich mich am frühen Nachmittag des 9. Februar – der Dauerregen der letzten Tage war in leichten Schneefall übergegangen – wie gewohnt zum Bahnhof begab, um zu meiner Familie nach Vorsfelde bei Wolfsburg zu fahren, war der Wasserstand der Leine am Schloß zwar höher als gewöhnlich, gab aber zu begründeten Besorgnissen noch keinen Anlaß“.

Eine durch den seit dem 3. Februar ohne Pause anhaltende Niederschlag entstandene erste Hochwasserwelle hatte allerdings die vorhandenen Wasserspeicher und Rückhalteflächen rasch gefüllt und die Wasserläufe anschwellen lassen. Dennoch stieg der Wasserstand in Hannover am 8. Februar nicht weiter an; am Mittag des 9. Februar gab es an Leine und Ihme noch Spielraum von 1 m bis 1,5 m zu den Deichkronen. Außerordentlich hohe Niederschlagsmengen in der Nacht vom 8./9. Februar lösten dann eine zweite Hochwasserwelle aus, die im inneren Stadtgebiet auf die vorherige Welle, die Hannover noch nicht passiert hatte, traf. Diesen Wassermassen waren die Flussdeiche nicht gewachsen; sie wurden überflutet und brachen.

Der Höchststand der Flut war am 10. Februar um 12 Uhr Mittags erreicht. Zu diesem Zeitpunkt waren 1.666,25 ha Fläche des Stadtgebiets überschwemmt. Besonders schwer wurde die zwischen Leine und Ihme gelegene Calenberger Neustadt betroffen. Hier wurde die Situation dadurch noch verschlimmert, dass ein britisches Treibstofflager auf dem Schützenplatz überflutet wurde und der Strom ca. 700.000 Benzinkanister mit sich riss, die die Durchflüsse unter den Leinebrücken im weiteren Verlauf des Flusses verstopfen sollten.

Der am Morgen des 11. Februar nach Hannover zurückgekehrte Archivar Goetting schildert die Situation: „Das Wasser, welches am Vortrag den gesamten Friederiken-Platz überflutet hatte, war inzwischen leicht zurückgegangen. Dagegen bildeten der ganze Waterloo-Platz, Adolfstraße und Archivstraße noch einen riesigen See. Das gesamte Gebäude des Staatsarchivs und der Provinzialbibliothek befand sich in einem reißenden Strom, der von der Waterloostraße heruntergeschossen kam und sich in die tiefer gelegene Calenberger Neustadt hinter dem Regierungsgebäude ergoß“. Linden war so bis zum 13. Februar vollständig von der Verbindung mit der Stadt Hannover abgeschnitten.

Zahlreiche vom Luftkrieg verschonte Wohnhäuser wurden vorübergehend unbrauchbar. Die nach den Bombenangriffen nur notdürftig wiederhergestellte Infrastruktur in der Stadt – Straße, Deiche, Fernsprech- und Telegraphenanlagen, Energieversorgung – wurde schwer getroffen. An öffentlichen Gebäuden wurden u. a. das Leine-Schloss, das Neue Rathaus, das Polizeipräsidium an der Hardenbergstraße sowie das Regierungsgebäude (heute Umweltministerium) und das Staatsarchiv überschwemmt. Die Arbeit der Verwaltung, die ohnehin vor die kaum lösbare Aufgabe gestellt war, die Versorgung der Stadtbewohner mit dem Lebensnotwendigen irgendwie zu organisieren, wurde damit noch einmal erheblich beeinträchtigt.

Auch die historische Überlieferung wurde schwer getroffen. Schon längst archivreifes Registraturgut der Stadtverwaltung, das in den Kellerräumen des Neuen Rathauses gelagert war, wurde überschwemmt. Die gerade erst in großer Eile aus den Auslagerungsorten zurückgeführten Urkunden und Akten des Staatsarchivs – mangels Aufzüge im Erdgeschoss des Gebäudes aufgeschichtet – wurden überspült. Die Aktenfaszikel lösten sich dabei auf und gerieten durcheinander; alles wurde von einer dicken Schlammschicht überzogen. Nach dem Abklingen der Flut bildete sich auf den unersetzlichen Dokumenten rasch Schimmelpilz. Auch die Registratur des Regierungspräsidenten im ebenfalls überfluteten Nachbargebäude war von dem Hochwasser betroffen und erlitt ähnliche Schädigungen. Mit den Folgen kämpfen die Archivarinnen und Archivare bis heute.


Um die Räume rascher auszutrocknen, wurden offene Koksöfen in den Gängen aufgestellt. Umhergeschwemmte Aktenbündel aus umgestürzten Stapeln bedecken im Hintergrunde den Fußboden.   Bildrechte: NLA
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Zur Austrocknung mußten sämtliche durchnäßten Akten in die oberen Stockwerke befördert werden. Durch ein Fenster werden die oft 20-30 kg schweren Bündel auf die Straße geschafft und von dort in einer Kiste nach oben gewunden.   Bildrechte: NLA
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Die dicke Schlammschicht in dem leeren Fache eines Regales ist durch die Austrocknung rissig geworden und hat sich bei einsetzendem Frost mit einer glänzenden Eisschicht überzogen. Im Hintergrunde eine 40 Meter durch das Wasser geschwemmte Siegelkapsel   Bildrechte: NLA
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Einige Gänge waren angefüllt mit Büchern und Akten, die durch den Druck des einströmenden Wassers aus den Fächern der Regale oder von den einstürzenden Stapeln hier zusammengeschwemmt worden waren.   Bildrechte: NLA
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Die meisten Gänge zwischen den Regalen waren mit Aktenstapeln vollgestopft. Duch das steigende Wasser wurden die Aktenbündel gehoben und die Stapel stürzten z.T. zusammen, sodaß sich die durchnäßten Bündel fest unter einander und an den Regalen ve   Bildrechte: NLA
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Zusammengeschwemmte Akten, Urkundenkisten, sonstiges Gerät, sowie der Fußboden - alles war nach dem Abfließen des Wassers mit einer mehrere Zentimeter dicken Schlammschicht bedeckt.   Bildrechte: NLA
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Die Eingangstür zum Archiv (links am Bildrand) stand völlig unter Wasser. Der mit der Kennzeichnung "11.2.46" versehene Markierungsstrich zwischen den Fenstern zeigt die Höhe des Wasserstandes.   Bildrechte: NLA
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