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Aus den Magazinen des Landesarchivs (Februar 2023)

Die Geburtsstunde des »Oldenburger Münsterlandes« 1803: Vechta und Cloppenburg werden vor 220 Jahren oldenburgisch (Patent zur Besitznehmung der beiden bisherigen Münsterschen Ämter Vechta und Cloppenburg, NLA OL Best. 76-24 a Nr. 1)


Die Landkreise Cloppenburg und Vechta sind heute in vielerlei Hinsicht als sozioökonomische Ausnahmeerscheinungen unseres Bundeslandes einzuordnen. In kaum einem anderen Gebiet Niedersachsens sind Wirtschaftskraft, Geburtenrate oder Eigenheimquote so groß wie hier; die Arbeitslosigkeit im Gegenzug seit Jahrzehnten auf konstant niedrigem Niveau. Auch über die auf der industriellen Landwirtschaft beruhenden wirtschaftlichen Strahlkraft hinaus unterscheidet die beiden Landkreise im Westen Niedersachsen vieles vom übrigen Bundesland: Die regionale Identität wird noch heute durch ein überwiegend konservatives und ländliches Milieu getragen; die Bevölkerung ist im Unterschied zum Landesschnitt überwiegend katholisch.

Das in der Eigenwahrnehmung große Zusammengehörigkeitsgefühl der Region zeigte sich zuletzt im vergangenen Jahr, als einem geplanten Neuzuschnitt und damit einer Zersplitterung des mit den Landkreisen bis dato übereinstimmenden und regelmäßig durch die CDU dominierten Bundestagswahlkreises 32 parteiübergreifend, auch mit Verweis auf die gemeinsamen historischen Wurzeln, vehement widersprochen wurde.

Der in diesem Zusammenhang für Außenstehende mitunter etwas sperrig oder gar widersprüchlich anmutende Rekurs auf die Region als »Oldenburger Münsterland« ist dabei als Folge der in diesem Jahr mit einem Jubiläum verbundenen politischen Entwicklung bzw. Zuordnung der Region geprägt worden: Vor nunmehr 220 Jahren gelangten die bis dahin zum Gebiet des vormaligen Fürstbistums bzw. Niederstifts Münster gehörenden Ämter Vechta und Cloppenburg im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 zum Herzogtum Oldenburg. Nachdem die zum Ausgleich linksrheinischer Gebietsverluste im Zuge der napoleonische Expansionspolitik ausgehandelte Einigung am 25. Februar 1803 in Regensburg gefasst wurde, unterzeichnete der Oldenburger Herzog und Administrator Peter Friedrich Ludwig das entsprechende Patent zur Besitznehmung der beiden bisherigen Münsterschen Ämter Vechta und Cloppenburg am 30. Juni 1803 (NLA OL Best. 76-24 a Nr. 1).

 
 
 
 

Zusammen mit dem Erhalt des vormals hannoverschen Amts Wildeshausen sollte Oldenburg durch diese Erweiterung seines Territoriums für den zu verlierenden Elsflether Weserzoll entschädigt werden. Wenngleich der für Oldenburg überaus einträgliche Zoll zunächst noch für einige Jahre weiterhin erhoben werden konnte, veränderte sich die territoriale und soziale Gestalt des Herzogtums durch Erhalt der Ämter Vechta und Cloppenburg umgehend – neben einer Verdopplung der Fläche, wuchs auch die Bevölkerung des Herzogtums von gut 90 000 auf über 130 000 Menschen (vgl. Steljes/Steinwascher, S. 8).

Das eigentlich „konstituierende Ereignis“ (Schmidt, S. 7) einer gemeinsamen Identität für Cloppenburg und Vechta lag 1803 jedoch vor allem darin begründet, dass den vormals in ihrer (Verwaltungs-) Geschichte durchaus unabhängig zu betrachtenden Ämtern und im Unterschied zu Wildeshausen nunmehr gemein war, durch ihre katholische Bevölkerungsstruktur innerhalb des protestantischen Herzogtums eine gemeinsame Sonderstellung einzunehmen (vgl. Schmidt, S. 7 f.).

Als eine Folge und gleichermaßen institutionelle Verkörperung dieser Sonderstellung wurde – kirchenrechtlich bis heute in dieser Konstruktion weltweit einmalig – 1830/31 das „Bischöflich Münstersche Offizialat“ mit Sitz in Vechta geschaffen. Als ständige Vertretung des Bischofs von Münster, aber jurisdiktionell weitgehend eigenständig, wurde für die Katholiken Oldenburgs von hier aus fortan die bischöfliche Amtsgewalt ausgeübt, ohne dass eine eigene Diözese im protestantischen Oldenburg geschaffen werden musste (vgl. Schmidt, S. 12 ff.).

Die Selbst- und Fremdbezeichnung der Region als »Oldenburger Münsterland« ist indes erstmals in den 1820er Jahren überhaupt, bis Ende des 19. Jahrhunderts nur vereinzelt sowie bis heute in paralleler Verwendung zur Umschreibung als »Südoldenburg« nachzuweisen (vgl. Sieger, S. 102 ff.). Wenngleich oftmals synonym verwendet, unterstreicht jedoch gerade der gleichzeitige terminologische Bezug zu Oldenburg und zu (m Bistum) Münster im Begriff des »Oldenburger Münsterlandes« die erst nach 1803 entstehende und konfessionell begründete Sonderrolle Vechtas und Cloppenburgs, die „zum identitätsstiftenden und Einheit herstellenden Merkmal der Region“ (Sieger, S. 102) werden konnte.

Quellen und Literatur:

Kerstin Rahn: Vom »Armenhaus« zum Agrobusiness. Zum Strukturwandel der südoldenburgischen Landwirtschaft, in: Sabine Graf/Gudrun Fiedler/Michael Hermann (Hrsg.): 75 Jahre Niedersachsen. Einblicke in seine Geschichte anhand von 75 Dokumenten (Veröffentlichungen des Niedersächsischen Landesarchivs 4), Göttingen 2021, S. 256-259.

Heinrich Schmidt: 175 Jahre Oldenburger Münsterland. Oldenburg 1979.

Constanze Sieger: Das Oldenburger Münsterland. In: Lena Krull (Hrsg.): Westfälische Erinnerungsorte. Beiträge zum kollektiven Gedächtnis einer Region, Münster 2016, S. 101-114.

Wolfgang Steljes: Zur Entstehung des Oldenburger Münsterlandes (Interview mit Prof. Dr. Gerd Steinwascher). In: kulturland Oldenburg Heft 187 (1/2021), Oldenburg 2021, S. 8-10.

Ulrich Suffner: Die Reform des Bundestages ist ein Frontalangriff auf das Oldenburger Münsterland. In: OV-Online (03.09.2022), Zugriff über: https://www.om-online.de/politik/die-reform-des-bundestages-ist-ein-frontalangriff-auf-das-oldenburger-muensterland-136008.

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