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Aus den Magazinen des Landesarchivs (Dezember 2023)

War Einstein Kommunist? – Rätselhafte Brandfetzen aus Scharbeutz nähren Verdacht (1932) (NLA OL Best. 136 Nr. 2860/1 und 2860/2)


 
 
 

Als eine Akte aus dem oldenburgischen Innenministerium im Archiv bearbeitet werden sollte, rieselten dem Archivar beim Aufschlagen verkohlte Brandfetzen entgegen. Hatte etwa ein Brandschaden an der Akte vorgelegen? Nein, diese zeigte sich insgesamt als unbeschädigt. Eine genaue Durchsicht der Akte brachte Licht ins Dunkel: die verkohlten Papierreste waren beigelegtes „Beweismaterial“ – und es handelte sich um Stücke mit Bezug auf den weltberühmten Physiker Albert Einstein (1879-1955). Schließlich kam zutage: es waren 1932 polizeiliche und ministerielle Ermittlungen im Gange, weil der Verdacht aufgekommen war, dass Einstein Kommunist sein könnte! Wie kam es zu diesem Verdacht?

Die Akte mit dem Titel „Verordnungen des Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung …“ (Laufzeit 1931-1933) ist insgesamt politisch-zeitgeschichtlich hochinteressant. Sie gibt im Spiegel von Polizeiprotokollen Bericht über die unruhige politische Lage während der späten Weimarer Republik, als der Reichspräsident per Notverordnung Regierungsgewalt ausübte und öffentliche Sicherheit und Ordnung nur notdürftig hergestellt werden konnte. Vom 19. Januar 1932 datiert ein Polizeibericht über anonym übergebene Schriftenfunde aus dem Garten einer Villa in Scharbeutz. Es waren Überreste von Dokumenten mit kommunistischem und marxistischem Bezug zusammen mit Resten von Korrespondenzen Einsteins gefunden worden. Die Polizei gab den „Fall Einstein“ an das Oldenburger Ministerium des Inneren ab. Scharbeutz lag im damaligen Oldenburger Landesteil Lübeck – daher waren hier oldenburgische Behörden für die Untersuchung zuständig.

 
 

Der im Ministerium daraufhin angefertigte, als „Geheim!“ deklarierte Vermerk verfügte eine Abschrift eines unter den Brandresten befindlichen Kommunistenschreibens aus Kuba an das Auswärtige Amt in Berlin für den Fall, dass darin „wissenswerte Umstände“ enthalten seien, sowie Aufforderung zum Bericht an die Regierung in Eutin. „Die Regierung wolle darüber berichten, ob dort Beziehungen zwischen Professor Einstein und der KPD festgestellt worden sind“. Die Regierung Eutin holte sich wiederum Bericht von der Polizei in Timmendorfer Strand ein. Es sollte ermittelt werden, um „den Brand welches Haus“ in Scharbeutz es sich gehandelt hatte, wann dieser stattfand und wann Einsteins Aufenthalt dort war. Bereits fünf Tage später lag die Antwort vor: Einstein sei vom 5. Juli bis 15. September 1928 mit 5 Personen im Hause des in Hamburg wohnenden M. gewesen. Auch ein Fräulein „Toni Mendel“ habe dort mit gewohnt. Im Hause Ms., das dieser vermietete und zeitweise im Sommer bewohnte, habe es aber nicht gebrannt. KPD-Verbindungen ließen sich nicht berichten. Albert Einstein, ein Freund des Wassers und Segelliebhaber, verlebte tatsächlich im Sommer 1928 mit Ehefrau, Sekretärin sowie seiner damaligen Geliebten Toni Mende zwei Monate an der Lübecker Bucht in Scharbeutz zur Kur, nachdem er im Frühjahr 1928 einen physischen Zusammenbruch erlitten hatte. Einstein verbrachte insgesamt mehrere Sommer in dem Haus Am Hang 13 (das Haus mit Seeblick wurde 1969 abgerissen). 1928 war Einsteins letzter überlieferter Aufenthalt an der Ostsee. Einige frühere Touren hatten ihn auch an mecklenburgische Ostseegestade geführt.

Der Gendarmeriebericht ging schon zwei Tage später dem Ministerium zu, wurde dort aber nur zur Kenntnis genommen und abgeheftet. Weitere Untersuchungen fanden nicht statt. Das Auswärtige Amt teilte dem Ministerium nur knapp mit, dass keine weiteren Feststellungen getroffen wurden, dass aber nach einer Mitteilung der deutschen Gesandtschaft in Havanna der Kommunismus auf Kuba bedeutungslos sei. Die Polizeidirektion Bremen wurde von allen Erkenntnissen unterrichtet. Viel Schriftverkehr letztlich um nichts! – Erregte Einsteins Strandurlaub an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste seinerzeit (auch antisemitisch genährten?) Argwohn, so wird ihm heutzutage in Scharbeutz ehrendes Erinnern zuteil: Mittlerweile gab es die – dann doch abgelehnte - Anregung, im Angedenken seiner Aufenthalte einer neuen Seebrücke im Ort seinen Namen zu verleihen.

 
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