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Aus den Magazinen des Landesarchivs (April 2023)

Von „Trunkenbolden“ und „Säuferlisten“ Ende des 19. Jahrhunderts (NLA AU Rep. 34 Nr. 7)


 
 

Wer zuviel trank, wurde namentlich erfasst und kam auf eine sogenannte „Säuferliste“: eine polizeiliche Maßnahme, die den übermäßigen Branntweingenuss Ende des 19. Jahrhunderts in Ostfriesland eindämmen sollte. Die abgebildete Liste aus dem damaligen Amtsbezirk Emden von 1883 umfasst 52 Personen, sie ist nur ein Beispiel für zahlreiche weitere Aufstellungen, die im NLA Aurich überliefert sind.

Die „Branntweinpest“ war Anfang des 19. Jahrhunderts in Norddeutschland zu einem gesellschaftlichen Problem geworden. Aufgrund eines neuen Verfahrens konnte Kartoffelschnaps mittlerweile deutlich billiger hergestellt werden als Bier und als die Branntweine, die aus Getreide destilliert wurden. Er wurde zum Alltagsgetränk nicht nur für Industriearbeiter, sondern auch für Landarbeiter und Handwerker, die am Rande des Existenzminimums lebten. Branntwein war für sie zum erschwinglichen Genuss- und Betäubungsmittel geworden.

Auch in Ostfriesland versuchte die Landdrostei zu Aurich den Alkoholmissbrauch und seine fatalen Auswirkungen mit Verboten und Strafen zu bekämpfen, was sich in diversen Polizeiverordnungen niederschlug. 1883 wurden die Gemeinden aufgefordert, „diejenigen Personen…, auf welche die öffentliche Stimme den Begriff des Trunkenboldes anwendet“, zu benennen. Den Personen, die auf einer solchen Säuferliste standen, durfte „Branntwein oder andere geistige Getränke nicht verabreicht … und der Aufenthalt in einem Gast- oder Schanklocale nicht gestattet werden …“. Sie erhielten schlicht Lokalverbot. Wirte und auch Kleinhändler, denen die Listen überreicht wurden und diese missachteten, sollten mit Geld- oder auch Haftstrafen belegt werden.

Doch wen erklärte „die öffentliche Stimme“ zum Trunkenbold? Den Gendarmen und Polizeibeamten, die die Personen benennen sollten, wurden „Criterien“ an die Hand gegeben, „wie geistiger und körperlicher Verfall, Unlust und Unfähigkeit zur Arbeit, wirtschaftlicher Niedergang“. Weiterhin galt es zu prüfen, „in welchem Maße schon bisher die zum Trunke neigenden Personen sich im Rausche zu … Aergerniss erregenden Handlungen, oder zu willenlosen und unwürdigem Benehmen disponiert erwiesen haben.“ Dazu gehörten somit Verursachung nächtlichen Lärms, drohender Verlust der Arbeitsstelle, Vernachlässigung der Kinder und Misshandlungen der Ehefrauen. Auch Ehefrauen, die sich nicht mehr zu helfen wussten, meldeten sich daraufhin und baten um Aufnahme ihres Gatten auf die Liste.

Die Beamten vor Ort wussten durchaus zwischen „angetrunkenen Personen“ und „Trunkenbolden“ zu unterscheiden. In dem Bericht z. B. aus Hotland hieß es: „Hier sind keine, die öffentliche Trunkenbolde sind.“ Es gebe zwar welche, „die sich gelegentlich nicht selbst ständig genug halten können“, dies ließen sich aber noch verwarnen. Auch aus Ostrhauderfehn wurde verlautbart, „dass in hiesiger Gemeinde zwar einige Personen Neigung zum Genuß spirituöser Getränke haben, Trunkenbolde aber in dem Sinne nicht vorhanden sind…“. Damit folgten die Berichterstatter der Aufforderung aus der Landdrostei, „mit Vorsicht zu Werke“ zu gehen, damit nicht unschuldige „Personen in der allgemeinen Achtung geschädigt werden… .“

Zwar war die „Trunksucht“ unter Frauen weit weniger verbreitet als unter Männern, aber auch sie litten unter Armut und sozialem Elend und suchten Trost im Alkohol. Von den 52 gelisteten Personen im Amt Emden waren 16 weiblich: Arbeiterinnen, eine Armenhäuslerin, eine Haustochter, Witwen und zahlreiche Ehefrauen. In Leer waren es sogar 32 Frauen von insgesamt 96 angezeigten Personen.

Aufgrund ihrer öffentlichen Nennung reduzierten einige wenige „Trunkenbolde“ den Branntweinkonsum und versprachen Besserung. Sie wurden daraufhin von der Liste gestrichen. Die Lösung der „Alkoholfrage“ brachte es aber nicht. Nicht nur die zahlreichen Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine erkannten Ende des 19. Jahrhunderts, dass exzessives Trinken milieubedingt war und sozialreformerische Maßnahmen ergriffen werden mussten.

 
 
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