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Aus den Magazinen des Landesarchivs (August 2019)

Flugblatt der Bürgerinitiative Altstadtsanierung Leer – Planierung oder Sanierung (1973) (NLA AU Rep. 227/24 acc. 2017/23 Nr. 37)


Die Bürgerinitiative Altstadtsanierung in Leer war eine der ersten im norddeutschen Raum, die ihre wichtigsten Ziele – zumindest teilweise – erfolgreich durchsetzen konnte. Sie konstituierte sich am 11. Juli 1973 aus dem Heimatverein Leer heraus als Reaktion auf die seit Anfang der 60er Jahren bestehenden Pläne der Stadtverwaltung zur Altstadtsanierung. Diese sahen vor, die „veralteten, unkomfortablen Wohnhäuser“ abzureißen, um einen „verkehrsgerechten, großzügigen Ausbau von Straßen“ sowie den „Bau moderner großer Wohnblöcke“ vorantreiben zu können.

Die Forderungen, die im ersten Flugblatt der Bürgerinitiative vom 1. September 1973 formuliert werden, weisen zwei Schwerpunkte auf: Einmal ging es um den Erhalt des „stadtbildprägenden Charakters der Altstadt“ und zum anderen um eine Beteiligung der Bürger an den Planungen und um mehr Transparenz bei den Entscheidungen der Stadt und der kommunalen Träger.

Damit stand die Bürgerinitiative in Leer nicht allein. Mit Beginn der 70er Jahre entwickelte sich in der Bundesrepublik eine regelrechte Bürgerinitiativbewegung als kritische Reaktion auf eine vorherrschende fortschritts- und wachstumsfixierte Planungs- und Modernisierungspolitik. Bereits 1965 war Alexander Mitscherlichs Streitschrift „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ erschienen, in der erstmals die Zerstörung gewachsener Strukturen aus sozialpsychologischer Sicht kritisiert worden war. Nun wurde längst offen darüber diskutiert, dass in einigen Städten den historischen Stadtkernen durch eine Flächensanierung irreparable Schäden zugefügt worden waren.

Ihren größten Erfolg erzielte die Leeraner Bürgerinitiative bereits sechs Monate nach Erscheinen dieses ersten Flugblattes: Anfang März 1974 gab die Stadt bekannt, dass sie auf wesentliche Teile der Westtangente, die im Sinne einer „autogerechten Stadt“ einen ungehinderten Verkehrsfluss bis in die Altstadt ermöglichen sollte, verzichten würde und dass statt der Flächensanierung künftig die Modernisierung und Erhaltung einzelner Gebäude Vorrang hätten.

In den folgenden Jahren ließ die Bürgerinitiative alternative Vorschläge von Architekten und Studierenden erarbeiten, mobilisierte mit unzähligen Flugblättern, Leserbriefen und Diskussionsveranstaltungen die Öffentlichkeit, führte Umfragen durch, sammelte Unterschriften und wandte sich an Politiker auf Landes- und Bundesebene. Nicht immer war sie in der Sache erfolgreich, wie zum Beispiel beim Bau des sogenannten „Kleemann-Bunkers“ oder beim Erhalt des „Westerende“. Sie bewirkte aber, dass große Teile der Altstadt saniert und erhalten, statt abgerissen wurden.

Ebenso erfolgreich war sie in der Bewusstmachung, dass basisdemokratische Möglichkeiten erfolgreich genutzt werden können und dass die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt auch von einem historischen Stadtbild mit geschichtsträchtiger Bausubstanz getragen wird. Heute gilt die historische Altstadt von Leer als „Kleinod Ostfrieslands“ und wirkt als zuverlässiger Touristenmagnet.

Literatur: Margarete Kramer: Bürger kämpfen für ihre Altstadt. Die Bürgerinitiative Altstadtsanierung Leer 1973-1978, Leer 2017.


 
 
 
 
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