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März 2016
Die Waldheimer Prozesse vor 60 Jahren oder: Friedrich Lüderitz beantragt die Aufhebung eines politischen Strafurteils (1956) (NLA - Oldenburg - Rep. 945 Akz. 2009/019)
Im Frühjahr 1953 fanden im Zuchthaus Waldheim in Sachsen die sogenannten Waldheimer Prozesse statt. Über 3.000 Personen wurden wegen tatsächlicher oder angeblicher Vergehen in der NS-Zeit, zum Teil in Schauprozessen und oft nur unter Einsatz von juristisch unzureichend ausgebildeten „Volksrichtern“, zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die DDR versuchte mit den Prozessen propagandistisch den Eindruck zu erwecken, die Verfolgung von NS-Verbrechen werde vorbildlicher als in der Bundesrepublik durchgeführt. Nachweislich dienten die Verfahren jedoch in vielen Fällen zur Ausschaltung politischer Gegner der SED. Das Kammergericht in Westberlin erklärt die Waldheimer Urteile am 15. März 1954 für nichtig und das Rechtshilfegesetz vom 2. Mai 1953 für nicht anwendbar, das eine Auslieferung Verurteilter auch an die DDR-Justiz vorsah, da die DDR juristisch kein Ausland war.
Wegen „Sozialdemokratismus“ verhaftet und wegen „Boykotthetze“, „Beihilfe zur Flucht“ und „Wirtschaftssabotage“ angeklagt, wurde z.B. der 55-jährige Friedrich Lüderitz aus Schartau, Kreis Burg im Bezirk Magdeburg, zu 15 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren „Sühnemaßnahme, d.h. Eigentumseinziehung“ verurteilt. Dem früheren Schlachter, nach dem Krieg Vorsitzender der „Vereinigung gegenseitiger Bauernhilfe“ und der „Bäuerlichen Handelsgenossenschaft“, wurde vor allem vorgeworfen, den Aufbau einer LPG behindert zu haben. In einem ausführlichen Artikel denunzierte im Mai 1953 die „Volksstimme“ in Magdeburg Lüderitz 1953 als „Lakai der Großbauern“. Nur aufgrund seiner früheren SPD-Mitgliedschaft (seit 1922) wurde er nach drei Jahren amnestiert, woraufhin er noch 1956 aus der DDR flüchtete. An seinem neuen Wohnort Oldenburg stellte er beim zuständigen Generalstaatsanwalt einen offiziellen „Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit einer Strafvollstreckung“, die nach eingehender Prüfung der vorgelegten Beweise und Schilderungen gewährt wurde. Kurze Zeit später zog er ins Ruhrgebiet um.
Nach dem Ablauf der 50jährigen Aufbewahrungsfrist konnte das Staatsarchiv Oldenburg 2009 zahlreiche Beispiele dieser Anträge von der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg übernehmen und der Forschung zugänglich machen. Die Vorgänge enthalten z.B. Selbstdarstellungen der Betroffenen und Urteilsabschriften.