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Call for Papers Über Stammbücher schreiben -- Stand und Perspektiven der Erschließung und Erforschung von Freundschaftsbüchern (16.-19. Jahrhundert)

Tagung vom 23.-24. März 2023 an der Herzog August Bibliothek und am Niedersächsischen Landesarchiv in Wolfenbüttel


Eintrag des Christian Wilhelm Hohnstein im Stammbuch des J. U. Schrader (NLA WO, VI Hs 13, Nr. 30a, pag 34 und 35)  
Eintrag des Christian Wilhelm Hohnstein im Stammbuch des J. U. Schrader (NLA WO, VI Hs 13, Nr. 30a, pag 34 und 35)

Kurztext:

Seit den 1980er Jahren werden Stamm- oder Freundschaftsbücher systematisch tiefenerschlossen und erfreuen sich gesteigerter Forschungsaufmerksamkeit. Eine epochen- und disziplinenübergreifende Synopse, welche diese Textgattung im Lichte neuerer Projekte und Erkenntnisse beleuchtet, steht allerdings aus. Die geplante Tagung will daher Ergebnisse und Perspektiven der Erforschung und Erschließung von Stammbüchern zusammenzuführen.

Tagungskonzept:

Stamm- oder Freundschaftsbücher entstanden aus dem Bedürfnis Wittenberger Studenten, eigenhändige Widmungen der Reformatoren zu sammeln, um sich als deren Schüler kenntlich machen zu können. Im Laufe der Frühen Neuzeit weitete sich diese Praxis zu Büchern aus, in denen insbesondere Studenten und Adlige auf Reisen Einträge von Kommilitonen, Professoren, Honoratioren, Machthabern und sonstigen Bekanntschaften sammelten. Zunehmend führten aber auch Frauen, Offiziere, Künstler, Musiker, Handwerker und Besitzer von gelehrten Sammlungen Stammbücher, wobei in Form und Inhalt der Einträge jeweils eine gruppen- oder milieuspezifische Praxis zum Tragen kommt. Die vielsprachigen, oftmals kunstvoll ausgestalteten und reich illustrierten Freundschaftsalben wurden zu selbstrepräsentativen und memorialen Zwecken angelegt, sollten aber auch Beziehungsnetzwerke veranschaulichen und als Empfehlungsschreiben dienen.

Die Erschließung und Bereitstellung von Stammbüchern ist komplex und zeitintensiv. Ihre Strukturierung in einzelne Notate verlangt eine aufwendige Einzelblatterschließung, idealerweise angereichert mit Normdaten. Der technische Fortschritt eröffnet neue Möglichkeiten: Wurde früher eine Faksimile-Edition favorisiert, um ikonografische Eigenheiten abzubilden, bietet sich heute eine vollständige Digitalisierung an. Durch Text- und Bilderkennungsprogramme stehen zudem neue Ansätze der Erschließung zur Verfügung. Ein spartenübergreifender Austausch zur Erschließung und Bereitstellung von Stammbüchern hat in Hinblick auf diese Möglichkeiten und Anforderungen bislang aber noch nicht stattgefunden, da Stammbücher vornehmlich von Bibliotheken erschlossen werden, obwohl sie in großer Zahl auch in Archiven und Museen zu finden sind. Letztere Einrichtungen haben den Freundschaftsbüchern bisher verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt und bis dato weder eigene Erschließungsstandards erarbeitet, noch ihre spezifischen Arbeitsweisen und ihr institutionelles Potenzial in die Fachdiskussion miteingebracht. Gerade die Relation zu Archivgut sowie die Querverbindungen zu dort verwahrten Quellengattungen und Beständen können aber völlig neue Zugänge zum Verständnis und der Ausdeutung von Freundschaftsbüchern schaffen.

Ihre komplexe Deutungsoffenheit, ihr hoher Quellenwert und ihre visuelle Attraktivität haben die Stammbücher seit dem späten 19. Jahrhundert zu einem vielbeachteten Untersuchungsgegenstand avancieren lassen. Seit den 1980er Jahren ist eine bislang ungebrochene Forschungskonjunktur festzustellen, die sich ebenso in einer breiten Erschließung der vorhandenen Bestände manifestiert, wie sie umgekehrt von dieser befördert wird. Die Anlage von Datenbanken und die fortschreitende Digitalisierung von Freundschaftsbüchern ermöglichen der Forschung inzwischen einen breiten Zugriff auf das Material. Gleichwohl werden die Stammbücher noch allzu selten vertieft ausgewertet und in Relation zu anderen Quellengattungen gesetzt. An prinzipiellem Interesse mangelt es dabei nicht: Stammbücher stehen zwischen den traditionellen Fächerkanones verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, ihre Erforschung konstituiert ein transdisziplinäres Arbeitsfeld. Während sich vorrangig die Germanistik mit Stammbüchern als literarischer Gattung sui generis befasst, nutzen insbesondere die Geschichtswissenschaft, die Theologie, die Neulatinistik, die Kunstgeschichte, die Musikwissenschaft, die Medizingeschichte und die Philosophie dieses Sammelmedium als wichtige historische Quelle. Eine Gesamtschau, die leitlinienhaft Ergebnisse und Perspektiven dieses heterogenen Forschungsfeldes zusammenführt, steht allerdings aus. Diese Lücke will die geplante Wolfenbütteler Tagung schließen. Zudem soll ein Impuls zur weiteren Erschließung und Erforschung dieser Textgattung gesetzt werden.

Mit der Herzog August Bibliothek (HAB) und dem Niedersächsischen Landesarchiv (NLA) existieren in Wolfenbüttel zwei Institutionen mit herausragenden Stammbuchsammlungen, welche beide im Rahmen von DFG-Projekten zeitlich parallel erschlossen, digitalisiert und beforscht werden. Unter den gut 100 Freundschaftsbüchern der HAB befindet sich mit dem „Großen Stammbuch“ des Philipp Hainhofer ein eminentes Glanzstück, welches womöglich das bedeutendste Exemplar der gesamten Gattung markiert. Das NLA verwahrt in der Abteilung Wolfenbüttel mit über 300 Stammbüchern die größte Sammlung in Niedersachsen, die zudem mit dem nördlichen Deutschland und der Universität Helmstedt sowie etwa einer Vielzahl weiblicher Stammbuchhalter besondere Schwerpunkte aufzuweisen hat. Bei ihrer Erschließung und Digitalisierung handelt es sich um das erste archivische Projekt seiner Art. Beide Institutionen möchten ihre Stammbuchsammlungen im Rahmen der Tagung einer Fachöffentlichkeit vorstellen.

Mögliche Fragestellungen:

Entsprechend der doppelten Ausrichtung der Tagung richtet sich die Ausschreibung gleichermaßen an Vertreter*innen der Wissenschaftsinfrastruktur (Archive, Bibliotheken, Museen, private Sammlungen), die Stammbücher verwahren und erschließen, und an Forschende der oben aufgeführten Wissenschaftsdisziplinen. Mögliche Fragestellungen könnten etwa sein:

Überlieferung, Erschließung und erschließungsgebundene Forschungsperspektiven

1) Provenienz: In welchem Verhältnis steht die private und öffentliche Überlieferung von Stammbüchern? Welche Intention hatten und haben Sammlungen in staatlichen Institutionen?

2) Erschließungsstandards und -praxis: Wie werden Stammbücher in Archiven, Bibliotheken und Museen jeweils erschlossen oder wie sollten sie idealerweise erschlossen werden?

3) Digitalisierung als Paradigmenwechsel: Welchen Stellenwert nehmen bei der Erschließung die Digitalisierung, die Anreicherung mit Normdaten und Text- oder Bilderkennungsprogramme ein?

4) Neue Möglichkeiten der Kooperation: Welche Portale und Austauschformate eignen sich für Erschließungsdaten von Stammbüchern? Welche Kooperationsformen zwischen den verschiedenen Zweigen der Wissenschaftsinfrastruktur bieten sich an?

5) Institutionen und Forschungsperspektiven: Welche Forschungs- und Deutungsmöglichkeiten erfährt das Stammbuch eingebunden im Archiv und als archivalische Quelle? Welche als Museumsgut? Wie können Bestände dieser Einrichtungen umgekehrt der Stammbuchforschung neue Impulse geben?

Bedeutung des Stammbuchs für die wissenschaftliche Forschung

6) Forschungsstand: Welche neueren Forschungsansätze existieren in anderen Wissenschaftsdisziplinen zum oder unter Rückgriff auf das Stammbuch? Welche konkreten Forschungsfelder eröffnen die beiden Wolfenbütteler Stammbuchsammlungen? Welche Forschungsprojekte können an diese anknüpfen?

7) Pragmatik: Welche Rezeption erlangten Stammbücher im privaten und öffentlichen Umfeld der Stammbuchhalter? Wie wurden sie von ihren Halter*innen lebenspraktisch verwendet?

8) Form- und Mediengeschichte des Stammbuchs: Welche zeitgenössischen Begrifflichkeiten wurden zur Beschreibung des Stammbuchs verwendet und wandelten sich diese ggf. im Laufe der Jahrhunderte? Wie lässt sich die mediale Hybridität des Stammbuchs beschreiben (Diversität der Notationsformen Text, Bild und Musiknotation; Mit-, In- und Gegeneinander von Handschrift und Druck; Diversität der Materialität etc.). Lassen sich die einzelnen Subgattungen des Stammbuchs, etwa unter Rückgriff auf archivalische Quellen, genauer bestimmen?

9) Stammbücher als historische Quellen: Welche Bedeutung erlangen die in den Stammbüchern greifbaren Netzwerke jenseits der Freundschaftsbücher? Welche biographischen Informationen teilen Stammbücher über deren Halter*innen und ihre Einträger*innen mit?

10) Inter- und Transdisziplinarität der Stammbuchforschung: Was ist das Besondere der Einträge in Stammbüchern aus philologischer, theologischer, philosophischer, kunsthistorischer oder musikwissenschaftlicher Sicht?

11) Stammbuchforschung unter Genderaspekten: Gibt es gruppen- oder geschlechtsspezifische Formen der Einträge?

Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.

Organisatorisches:

Die Tagung wird von zwei Institutionen ausgerichtet und soll folglich alternierend an zwei Orten in Wolfenbüttel stattfinden. Veranstaltungsort des ersten Tages, inklusive eines öffentlichen Abendvortrages, ist die Herzog August Bibliothek, während das Niedersächsische Landesarchiv, Abteilung Wolfenbüttel, inklusive einer Aus- und Vorstellung der Stammbuchsammlung, Schauplatz des zweiten Tages sein wird. Auch Dank der finanziellen Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft können die Veranstalter für die Kosten von Reise und Unterkunft sowie für die Verpflegung aufkommen. Die Tagungsbeiträge sollen in der Reihe „Veröffentlichungen des Niedersächsischen Landesarchivs“ publiziert werden.

Abstracts von max. 3000 Zeichen mit einem kurzen Lebenslauf werden bis zum 31. März 2022 per-E-Mail erbeten an:

Forschung@hab.de und Philip.Haas@nla.niedersachsen.de

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