Akten, Risse, Pläne, Karten - Die Bestände der TUI AG zum Harzer Bergbau sind nun komplett
Zum Abschluss der umfangreichsten Übernahme seit Bestehen des Bergarchivs Clausthal.
Am 9. Oktober 2023 jährte sich das Gesetz „betreffend Übertragung der Verwaltung und Ausbeutung des staatlichen Bergwerksbesitzes an eine Aktiengesellschaft“, auch bekannt als sog. Preussag-Gesetz, zum 100. Mal. Der Freistaat Preußen privatisierte 1923 seine Montanindustrie und auch die Oberharzer Montanbetriebe gingen in der neu gebildeten Preußischen Bergwerks- und Hüttengesellschaft zu Berlin auf. Sie firmierte am 15. Januar 1924 als Zweigniederlassung Oberharzer Berg- und Hüttenwerke Clausthal. Im Zuge der Privatisierung gingen auch die bis dahin in den Berginspektionen geführten Registraturen (Betriebsakten und Risswerk) in das Eigentum des neuen Unternehmens über.
Bis 1945 blieb die Preussag faktisch „Staatskonzern“. Erst Ende der 1950er Jahre entwickelte sie sich zum rein privatwirtschaftlich geführten Unternehmen. Der Konzern gliederte in der Folgezeit verschiedene Produktionssparten neu. So wurden Ende der 1960er Jahre die Harzer Berg- und Hüttenwerke zur Gesellschaft Preussag-AG Metall. 1986 übernahm die dazu speziell gegründete Harz-Metall GmbH alle Hüttenaktivitäten. Ein Jahr später beschloss man die Stilllegung der letzten noch aktiven Bergwerke. Am 30. Juni 1988 fuhr man am Rammelsberg die letzte Schicht, Ende März 1992 dann im Erzbergwerk Grund. Damit endeten fast 500 Jahre Bergbau im Oberharz.
Die Abwicklung des Bergbaus übernahm in der Folgezeit die zu diesem Zweck gegründete Bergbau Goslar GmbH (BGG) mit Sitz am Rammelsberg. Sie war damit auch zuständig für die am Rammelsberg lagernden bergbaulichen Unterlagen, vor allem die Betriebsakten der Bergwerke und Hütten und ein umfangreiches bis ins 17. Jahrhundert zurückreichendes bergmännisches Risswerk.
Im Jahr 2002 verabschiedete sich die Preussag endgültig von ihren montanwirtschaftlichen Wurzeln und benannte sich in TUI AG um. Die alten Registraturen (bis zum Stichjahr 1945) einschließlich der Risse, Pläne und Karten übergab die TUI AG 2017 dem Niedersächsischen Landesarchiv (NLA) als Schenkung. Die Unterlagen sollten im Bergarchiv Clausthal verwahrt und bis 31. Dezember 2022 dorthin übernommen werden. Zwischen 2018 und 2022 kamen insgesamt 11 987 Risse, Pläne und Karten und 112,5 lfdm Akten (ca. 4500 Stück) nach Clausthal. Am 6. Dezember 2022 erfolgte schließlich der letzte Transport.
Der bereits durch seinen Umfang beeindruckende Rissbestand hat auch inhaltlich einiges zu bieten. Der größte Teil der Risse dokumentiert den Zeitraum zwischen 1651 und 1945 für das gesamte Oberharzer Montanrevier und den Rammelsberg, darunter die Gangzüge, Gruben und Wasserkraftanlagen (u.a. Anlagen zur Wasserhebung, Gräben, Wasserläufe und Teiche) sowie obertägige Betriebs- und Produktionsanlagen (u. a. Maschinen- und Zechenhäuser, Gleisanlagen, Gebäude und technische Anlagen der Hütten). Darüber hinaus enthält der Bestand eine beträchtliche Zahl von Karten und Plänen von Flur- und Wiesenstücken sowie Forstkarten. Bevor diese Unterlagen für die Benutzung bereitgestellt werden können, müssen sie erschlossen, bei Bedarf restauriert, digitalisiert und verpackt werden.
Gegenwärtig befinden sich ca. 2500 Risse darunter Stücke aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert zur Restaurierung und Digitalisierung in der Zentralen Restaurierungswerkstatt des NLA in Bückeburg. Etwa 3000 bereits erschlossenen Rollrissen steht diese Behandlung noch bevor. 301 Risse wurden bereits digitalisiert und magaziniert. Etwa 1275 weitere Riss- und Kartenblätter liegen für die Digitalisierung und anschließende Verpackung bereit.
Im Ergebnis dieser Arbeiten sollen alle Risse und Pläne als Bestand Dep. 150 K (BaCl) für die Nutzung und Auswertung als Digitalisate bereitgestellt werden. Einzelne Rissdigitalisate wurden bereits mit ihren Erschließungsdatensätzen in Arcinsys verknüpft und sind dort online einsehbar. Die Bereitstellung kann aufgrund der großen Menge und der hohen Restaurierungsaufwände nur sukzessive geschehen. Alle damit befassten Stellen arbeiten mit großem Einsatz daran, diesen Bearbeitungsprozess weiter voranzubringen. Die noch in Clausthal gelagerten überwiegend gerollten ca. 5000 Risse werden parallel kontinuierlich weitererschlossen.
Anders verhält es sich bei den im Bestand Dep. 150 (BaCl) zu verwahrenden Akten, die nach ihrer Verzeichnung in Arcinsys lediglich gereinigt und verpackt werden müssen. Die 2018 übernommenen Observationsbücher und Akten der Markscheiderei waren bereits 2019 als erste Bestandsgruppe vollständig erschlossen. Einzelne kleinere Zugänge folgten, bis schließlich 2022 der Hauptteil der Aktenüberlieferung bei der BGG übernommen werden konnte. Davon sind bereits Teile der neueren Betriebsakten des Erzbergwerks Rammelsberg (1920er und 30er Jahre) sowie die gesamten Knappschaftlichen Unterlagen mit einem Umfang von 13 lfdm, zu denen auch Verwaltungsakten der Oberharzer Berg- und Hüttenwerke Clausthal bei der Preussag (zwischen 1924 und 1945) gehören, in Arcinsys erschlossen und damit auch benutzbar. Die Betriebsakten der Erzbergwerke Grund und Rammelsberg (ca. 39 lfdm) sollen in Hannover im Rahmen der Ausbildung verzeichnet werden. Im Bergarchiv lagern vor allem die noch zu erschließenden Akten der Unterharzer Hüttenwerke insbesondere der Herzog Juliushütte, Frau-Marien-Seiger Hütte und Frau-Sophienhütte (insgesamt ca. 45 lfdm).
Diese bedeutenden und einzigartigen Karten- und Aktenbestände stellen einen besonderen Quellenfundus für die Erforschung der Oberharzer Montanwirtschaft von der Frühen Neuzeit bis in die neuere Geschichte des 20. Jahrhunderts dar. Sie ermöglichen in Kombination mit der bereits im Bergarchiv Clausthal verwahrten Überlieferung des Berg- und Forstamts Clausthal (BaCl Hann. 84a) und des Preußischen Oberbergamts (BaCl Hann. 184) vor allem eine Erweiterung auf interdisziplinäre Forschungsansätze. Das NLA wird mit seiner facharchivischen Kompetenz in Erschließung, Restaurierung und Digitalisierung diese Ansätze nach Kräften unterstützen und fördern.