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Heide, Machtherrscher, Freiheitskämpfer?

Der diesjährige Tag der Ostfriesischen Geschichte brachte neue Erkenntnisse zu dem frühmittelalterlichen König Redbad / Radbod


Bildrechte: Gert Ufkes, Ostfriesische Landschaft
Die Organisatoren und Mitwirkenden des diesjährigen Tages der ostfriesischen Geschichte (v.l. Rico Mecklenburg, Dr. Michael Hermann, Dr. Sonja König, Dr. Paul Weßels, Dr. Han Nijdam, Otto Knottnerus, Prof. Dr. Hans Mol, Dr. Simon Halink, Dr. Heiko Suh
Bildrechte: Wikipedia
Der Friesenkönig Redbad weigert sich, von Bischof Wolfrum getauft zu werden

Die historische Auseinandersetzung mit dem legendären Friesenkönig Redbad (in Ostfriesland unter dem Namen „Radbod“ bekannt) hat in Westfriesland Konjunktur. Anlässlich der 1.300sten Wiederkehr seines Todesjahres (719 n. Chr.) organisierten die Königliche Friesische Gesellschaft und die Fryske Akademy im Oktober 2019 im Historischen Zentrum Leeuwarden das vierte Sieperda-Symposium mit dem Titel „Das Erbe von Redbad, König der friesischen Länder vom Mittelalter bis zur Gegenwart“. Im darauffolgenden Jahr widmete sich der hundertste Band der historischen Zeitschrift „De Vrije Fries“ ebenfalls dem frühmittelalterlichen Friesenkönig. Außerdem plant das Fries Museum in Leeuwarden für 2026 eine Ausstellung zu Redbad und seiner Zeit.

Aber auch in Ostfriesland stößt man immer wieder auf den Namen Radbod. Ein markanter Landschaftshügel bei Dunum, der sogenannte „Radbodsberg“, ist nach ihm benannt. Dazu gibt es mehrere Straßen und Wege mit der Bezeichnung „Conrebbersweg“, der von dem Namen des Königs der Friesen abgeleitet sein soll. Und es geht die Sage, der friesische König sei unter dem Plytenberg bei Leer begraben, wo er „darauf warte, bei großer Not gerufen zu werden, um den Friesen zu Hilfe zu kommen“. (https://de.wikipedia.org/wiki/Radbod_(Friesland))

Um sowohl den Sagen als auch den historischen Fakten zu Redbad auf den Grund zu gehen, fand am 18. November 2023 der von der Ostfriesischen Landschaftsbibliothek (Dr. Paul Weßels und Dr. Heiko Suhr) und dem Niedersächsischen Landesarchiv – Abteilung Aurich – (Dr. Michael Hermann) gemeinsam organisierte 24. Tag der ostfriesischen Geschichte unter dem Titel „Radbod / Redbad. Ein friesischer König des Frühmittelalters in Legende und Geschichte“ statt. Knapp 120 Teilnehmer:innen verfolgten das international besetzte Programm, das von vier niederländischen Wissenschaftlern und einer deutschen Archäologin bestritten wurde.

Nach der Begrüßung durch den Landschaftspräsidenten Rico Mecklenburg, der u.a. auf die wenigen gesicherten Fakten zu Radbod verwies (Auseinandersetzung mit dem expandierenden Frankenreich, Weigerung der Taufe), befassten sich die beiden niederländischen Historiker Otto Knottnerus (Slochteren, NL) und Dr. Han Nijdam (Fryske Akademy, Leeuwarden) unter dem Titel „Redbad – Friesischer König für immer!“ mit den narrativen und medialen Traditionen zu Redbad. Dr. Han Nijdam präsentierte zahlreiche unterschiedliche Porträts des friesischen Königs und betonte, wie fest Redbad in der heutigen westfriesischen Erinnerungskultur verankert sei. Neben einem kommerziell eher erfolglosen Spielfilm „Der Pfad des Kriegers“ (Originaltitel: „Redbad“) gab es 2018 in Broeksterwald eine spektakulär inszenierte Premiere eines Freiluftspiels, die auf dem historischen Roman „Redbad. Kronyk fan in kening“ von Willem Schoorstra basierte. Dabei könnte es sich als ertragreich erweisen, dieses inzwischen auch in einer niederländischen Übersetzung vorliegende Buch in einer eigenen Untersuchung mit dem 2020 in Deutschland erschienen historischen Roman von Lothar Englert „Radbods Schwert“ zu vergleichen.

Dagegen stellte Otto Knottnerus die literarische Auseinandersetzung mit Redbad seit dem 12. Jahrhundert in den Mittelpunkt seines Vortrages. So finden sich in den „Chansons de Geste“, die zu den ältesten erzählenden Gattungen der französischen Literatur gehören, auch Hinweise auf Redbad. Ebenso wird in dem „Ensenhamen des Guerau de Cabrera“ (ca. 1160) ein „Lied von Radbod“ erwähnt. Schließlich dürfte es sich auch bei „Reinbaldr friski“, einem Gefolgsmann Karls des Großen aus der altnordischen Karlmagnus-Sage aus dem 13. Jahrhundert, um ein Alter Ego Redbads handeln. Zuletzt folgte im 16. Jahrhundert in der heutigen Provinz Fryslan eine „apokryphe“ Geschichtsschreibung, die Redbad in eine lange Reihe friesischer Prinzen, Herzöge und Könige stellte.

Prof. Dr. Hans Mol (Leidschendam, NL) verfolgte mit seinem Vortrag über „König Redbad und sein Bewegungsprofil“ einen ganz anderen Ansatz, um sich der Person des legendären Friesenkönigs zu nähern. Da Redbad in erster Linie nur aus fränkisch-gefärbten Schriftquellen bekannt sei, versuchte er, eine räumliche Analyse des damaligen friesischen Territoriums vorzunehmen. Dazu betrachtete er bodenkundliche und archäologische Daten zur Landschaft und setzte diese mit dem Handeln Redbads in Verbindung. Mol führte aus, dass die Landschaft der „Lex Frisionum“ um 800 n. Chr. eine heterogene Landschaft gewesen ist. Es gab nur einen schmalen Streifen bewohnbaren Landes zwischen Meer und Moor, wobei zum Hinterland keine Landverbindungen bestanden, sondern die Flüsse genutzt werden mussten. Auch wenn Redbad nach seiner Niederlage 689 n. Chr. bei Dorestad gegen Pippin auf den Einfluss über „Frisia citerior“ verzichten musste, blieb er ein bedeutender Herrscher. Dies lässt sich nicht nur auf seine Machtstellung und seinen Großgrundbesitz im Rijnland und im heutigen Nord-Holland zurückführen, sondern er muss auch die Unterstützung der Friesen aus den Gebieten östlich der Vlie gehabt haben. Da diese Friesen glühende Gegner des Christentums gewesen sind und Redbad deren Rückhalt nicht verlieren durfte, war es ihm allein aus Gründen des Machterhalts gar nicht möglich, zum Christentum überzutreten.

Einem ostfriesischen Thema widmete sich Dr. Sonja König (Ostfriesische Landschaft, Aurich) mit ihrem Vortrag zu „Der Radbodsberg bei Brill im Landkreis Wittmund“. Darin rekonstruierte sie die bisherigen archäologischen Ausgrabungen an dem markanten Grabhügel: von den ersten Untersuchungen 1898 durch den Lehrer Eilers über die Ausgrabungen durch den Leiter des Staatsarchivs Aurich, Dr. Wachter, 1904 bis zu den Veröffentlichungen des Archäologen Wolfgang Schwarz Ende des 20. Jahrhunderts. Insgesamt konnten in dem Grabhügel ein Einzelgrab der Einzelgrabkultur, eine Steinkiste der Jungsteinzeit, Urnengräber der jüngeren Bronzezeit und älteren Eisenzeit sowie eisenzeitliche Brandgräber gefunden werden. Für das Frühmittelalter, also der Zeit Radbods, ließen sich dagegen nur ein Pferdeschädel sowie Lederreste und Keramikfragmente entdecken, die auf eine Pferdebestattung hindeuten. Diese Hinweise bewegten den Mittelalterhistoriker Dr. Hajo van Lengen nicht zuletzt zu der Aussage, dass er bezweifle, dass Radbod jemals in Ostfriesland gewesen sei. Auch die Umbenennung des Hügels von Rabbelsberg in Radbodsberg erfolgte offensichtlich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts.

Den abschließenden Vortrag hielt Dr. Simon Halink (Fryske Akademy, Leeuwarden) über „Radbods Nachleben als friesischer Freiheitskämpfer“. Ausgehend von der Geschichte über die Weigerung Redbads, sich taufen zu lassen, ((Laut der Überlieferung soll Redbad schon mit einem Fuß im Taufbecken gestanden haben, als er sich bei Wulfram erkundigte, ob er nach seinem Tod seine Vorfahren im Himmel wiedersehen würde. Wulfram verneinte. Als Heiden würden sie in die Hölle hinabfahren. Daraufhin zog Redbad seinen Fuß aus dem Taufbecken zurück und erklärte, dass er dann lieber bei seinen Vorfahren in der Hölle sein würde als bei einem Haufen armer Christen im Himmel.)) zeigte Halink, dass der friesische König in den fränkischen Quellen vor allem als „Bösewicht“ dargestellt worden ist. Die Sichtweise auf Redbad änderte sich erst im 19. Jahrhundert, u.a. durch das Buch des lutherischen Jacob Grimm „Deutsche Mythologie“ 1835, in dem Redbads Ablehnung des Katholizismus positiver bewertet wurde. Auch in der Geschichtsschreibung wurden die Franken des Mittelalters nunmehr verstärkt als Bedrohung der einheimischen Kultur wahrgenommen, was einen Perspektivwechsel auf die bisherige fränkische Sichtweise bedeutete. Die Entwicklung gipfelte darin, dass Redbad in den 1930er Jahren als Vorläufer Wilhelm von Oraniens und als Kämpfer gegen die Unfreiheit und den südlichen Feudalismus angesehen wurde. Heute sei Redbad eine – nicht vollkommen unumstrittene – Erinnerungsfigur und fester Bestandteil eines heroisch geprägten friesischen Selbstbildnisses.

In einer lebhaften Abschlussdiskussion war es möglich, weitere Aspekt zu Redbad bzw. Radbod zu thematisieren. Ausnahmsweise wurde an diesem „Tag der ostfriesischen Geschichte“ auf die sonst übliche Informations- und Gesprächsrunde „Neues aus Wissenschaft und Forschung zur ostfriesischen Geschichte“ verzichtet. Aber wie auch sonst konnten die Teilnehmer:innen eine aktuelle Übersicht über die 2023 neuerschienen Publikationen zu ostfriesischen Themen mit nach Hause nehmen.



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