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Notfallverbünde zum Kulturgutschutz für Ostfriesland?

Eine Informationsveranstaltung am 28. April 2022 will ostfriesische Kultureinrichtungen sensibilisieren.


Es waren vor allem die großen Katastrophen der letzten 20 Jahre – von dem Elbehochwasser 2002 über den Brand der Anna Amalia Bibliothek 2004 in Weimar bis zum Einsturz des historischen Archivs in Köln 2009 –, die zahlreiche Kultureinrichtungen in Deutschland dazu bewogen hatten, sich zu sogenannten Notfallverbünden für den Kulturgutschutz zusammenzuschließen. Diese Vereinigungen verfolgen das Ziel, „sich bei Bedarf im Notfall mit Material und Personal gegenseitig zu unterstützen, aber sich auch gemeinsam präventiv auf einen Notfall vorzubereiten und Erfahrungen auszutauschen“ (http://notfallverbund.de/verbuende/was-ist-ein-notfallverbund). Inzwischen haben sich bundesweit etwa 50 Notfallverbünde gegründet, in Niedersachsen sind es aber gerade einmal drei. Neben dem Regionalen Notfallverbund Hannover (seit 2009) und dem Notfallverbund Osnabrück (seit 2017) war bereits 2012 – und damit deutschlandweit erstmals in einer vergleichsweise kleinen Stadt – der „Notfallverbund zum Kulturgutschutz in Katastrophenfällen für die Stadt Aurich“ gegründet worden.

Um weitere Gründungen von Notfallverbünden in Ostfriesland anzuregen oder zumindest die ostfriesischen Kultureinrichtungen für die Belange des Notfallschutzes zu sensibilisieren, veranstaltete der Notfallverbund Aurich am 28. April 2022 unter dem Titel „Gründung, Organisation und Aufbau eines Notfallverbundes zum Kulturgutschutz“ eine ganztägige Informationsveranstaltung im Landschaftsforum. Mehr als 40 Teilnehmer:innen, darunter Vertreterinnen und Vertreter mehrerer ostfriesischer Museen und Kommunalarchive sowie der Johannes a Lasco-Bibliothek Emden, verfolgten das angebotene Programm.

Nach einführenden Grußworten durch den stellvertretenden Landschaftspräsidenten Hilko Gerdes sowie den Auricher Bürgermeister Horst Feddermann – die Präsidentin des Niedersächsischen Landesarchivs, Dr. Sabine Graf, musste ihre Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig absagen – befasste sich der Kulturgutschutzbeauftragte des Notfallverbundes Aurich, Dr. Michael Hermann, grundlegend mit der Gründung und dem Aufbau des seit zehn Jahren bestehenden Verbunds. Am 6. Februar 2012 riefen die Stadt Aurich, die Ostfriesische Landschaft und das damalige Niedersächsische Landesarchiv – Staatsarchiv Aurich den Notfallverbund ins Leben, dem als weitere Kultureinrichtungen bzw. -abteilungen das Historische Museum, die Stadtbibliothek, die Landschaftsbibliothek, der Museumsverbund, der Archäologische Dienst und das Forschungsinstitut sowie die Freiwillige Feuerwehr angehören (siehe dazu auch: https://ostfrhist.hypotheses.org/778). Obwohl der Notfallverbund in seiner Vereinbarung über die gegenseitige Unterstützung in Notfällen prinzipiell festgelegt hat, dass der Notfallverbund auch weiteren Teilnehmer offen steht, ist eine Ausweitung auf den Auricher Landkreis oder gar Ostfriesland nicht ohne Weiteres möglich, da sich das Einsatzgebiet des Auricher Notfallverbundes auf das Stadtgebiet Aurich beschränkt. Umso wichtiger ist es, dass die ostfriesischen Kultureinrichtungen selbst tätig werden. So können sie als ersten Schritt über eine Website der Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen (https://www.silk-tool.de/de/) selbst evaluieren, welcher Handlungsbedarf in Sachen Sicherheit bei ihnen besteht.

In einem weiteren Vortrag stellten Bodo Bargmann von der Freiwilligen Feuerwehr und Dr. Nina Henning von der Ostfriesischen Landschaft die Arbeit der Feuerwehr und den Inhalt von Notfallboxen vor, die bei kleineren Schäden für eine Erstversorgung geschädigter Objekte zum Einsatz kommen können. Darüber hinaus hat der Notfallverbund Aurich bereits 2012 mit Unterstützung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes (KEK) acht Notfallcontainer angeschafft, die neben Klapptischen und -stühlen, Verpackungsmaterialien (vom Seidenpapier über Stretch- und Luftpolsterfolien bis hin zu Transportkisten), persönliche Schutzkleidung (Handschuhe, Helme, Overalls etc.) und Utensilien zur Dokumentation (Block, Bleistift) enthalten. Im Hof der Ostfriesischen Landschaft konnten die Notfallcontainer, die bei der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Aurich aufbewahrt werden, den Teilnehmer:innen gezeigt und vorgestellt werden.

Anschließend schilderte die stellvertretende Kulturgutbeauftragte des Notfallverbundes Aurich, Dr. Sonja König, welche Erfahrungen der Auricher Notfallverbund bei den zwei bisher durchgeführten Notfallübungen sammeln konnte. Wichtigste Aufgabe der Einsatzleitung ist es gleich zu Beginn, das Engagement und den Tatendrang der Helfer:innen zunächst einmal zu bremsen. Denn auch bei einem größeren Schadensfall geht es nicht allein darum, möglichst schnell möglichst viele Kulturobjekte zu bergen und zu versorgen. Vielmehr eröffnet eine gewisse Ruhe auch die Möglichkeit, zeitlich längere Einsätze durchzuführen. Nach einem vom Notfallverbund ausgearbeiteten Workflow durchläuft jedes geborgene Objekt einen mehrstufigen Entscheidungsprozess, bei dem bewertet wird, ob es beschädigt oder unbeschädigt ist, ob sofort etwas unternommen werden muss oder erst später, bevor das Buch, die Archivalie oder das Museumsstück registriert, fotografiert, eventuell umverpackt oder erstversorgt wird, um es dann in eine neue Lagerstätte zu überführen.

Am Nachmittag beschäftigte sich der Vortrag der stellvertretenden Notfallbeauftragten des Historischen Museums Hannover, Annabet Röllig, ausschließlich mit der Notfallplanung für Museumssammlungen. Auch wenn die Feuerwehr zunächst für die Schadensabwehr und den Personenschutz zuständig ist, kann sie – wenn ausreichend Zeit vorhanden ist – einzelne prioritäre Kulturobjekte vorab bergen. Dazu können entsprechende Laufkarten vorbereitet werden, die mit Bildern und Piktogrammen versehen der Feuerwehr die notwendigen Informationen bieten, wo sich das Objekt befindet, wie es aussieht und wie es ggf. transportiert werden muss.

Abschließend stellten Dr. Detlef Busse und Silke Kötter von der Zentralen Werkstatt des Niedersächsischen Landesarchivs in einer theoretischen Einführung die verschiedenen Schadensbilder vor und verwiesen auf den nützlichen „Pocket Guide Notfall, 2020“ (https://notfallverbund.ub.uni-stuttgart.de/wp-content/uploads/sites/4/2020/05/Pocket_NoVe.pdf), der für unterschiedlichste Materialien Hinweise gibt, welche Maßnahmen im Schadensfall ergriffen oder auch vermieden werden sollten. Anschließend wurde im Hof der Ostfriesischen Landschaft die Erstversorgung von Objekten praktisch vorgeführt. Es wurde gezeigt, wie eine durchnässte Akte in Folie eingeschlagen werden muss, um diese anschließend in ein Kühlhaus bringen zu können und später durch das Verfahren der Gefriertrocknung dem Papier das Wasser wieder zu entziehen. Bei Schlammablagerungen bietet es sich laut Kötter an, diese zunächst unter fließendem Wasser abzuspülen, da sich eine spätere Bearbeitung, wenn der Schlamm erst verkrustet und ausgehärtet ist, sehr viel schwieriger gestaltet. So ist das Niedersächsische Landesarchiv noch heute dabei, die im Leinehochwasser von 1946 in Mitleidenschaft geratenen Archivalien zu restaurieren.

Es bleibt die Hoffnung, dass auch die ostfriesischen Kultureinrichtungen möglichst von größeren Notfällen verschont bleiben. Gleichzeitig hat die Veranstaltung gezeigt, dass es möglich ist, sich schon im Vorfeld auf einen etwaigen Notfall vorzubereiten, damit das wertvolle Kulturgut möglichst gut geschützt ist und nichts davon zerstört wird oder verloren geht. Der Notfallverbund Aurich steht dabei mit seiner zehnjährigen Erfahrung als Ansprechpartner zur Verfügung.
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