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Landwirtschaft unter dem Hakenkreuz: Die Akten der Kreisbauernschaft Stade

Im September 1933, wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurden sämtliche landwirtschaftliche Betriebe im Deutschen Reich im neu gegründeten Reichsnährstand unter Leitung des Reichsbauerführers (zugleich Reichslandwirtschaftsminister) Walter Darré organisiert. Mit dieser Maßnahme im Zuge der „Gleichschaltung“ wurde dem NS-Staat eine weitgehende Lenkung der landwirtschaftlichen Produktion ermöglicht, insbesondere durch Ablieferungsvorgaben an die Betriebe. Organisatorisch gliederte sich der Reichsnährstand reichsweit in Landes-, Kreis-, und Ortsbauernschaften, die jeweils einem Landes-, Kreis-, und Ortsbauernführer unterstanden.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Reichsnährstand zunächst unter Verwaltung der Besatzungsmächte weitergeführt und im Westen in der britisch-amerikanischen Zone 1948 aufgelöst. Die Kreisbauernschaften wurden in den frühen Jahren der Bundesrepublik darüber hinaus noch einige Jahre als Kreiswirtschaftsämter fortgeführt.

Die Akten der Kreisbauernschaften in Westdeutschland wurden nach deren Auflösung zunächst in den lokalen Wirtschaftsschulen aufbewahrt. In Niedersachsen wurde 1960 die Abgabe ihrer Akten an die Staatsarchive verfügt. Dennoch ist der Großteil dieser Unterlagen heute verschollen. Die Akten der Kreisbauernschaft Stade sind heute deutschlandweit nahezu die einzigen, die zu einem Großteil in einem Archiv erhalten sind.

Der Bestand der Kreisbauernschaft Stade in der Abteilung Stade des Niedersächsischen Landesarchivs enthält insgesamt 4537 „Erbhofakten“ zu nahezu jedem der größeren landwirtschaftlichen Betriebe im Kreis Stade. Diese sind nach ihrer Zugehörigkeit zu den insgesamt 99 Ortsbauernschaften im Zuständigkeitsbereich der Kreisbauernschaft gegliedert.

Als „Erbhof“ galt gemäß dem Reichserbhofgesetz von 1933 ein Hof, der mindestens eine Ackernahrung produzieren konnte, und dessen Besitzer als „bauernfähig“ bestätigt war. Bedingungen hierfür waren eine „arische“ Abstammung, sowie die Befähigung zur Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes – und damit, wie in vielen der Akten deutlich wird de facto die politische Zuverlässigkeit des Landwirts in den Augen des Reichsnährstands.


 
Bild 1 NLA ST Rep. 266 Nr. 3679
 
Bild 2 NLA ST Rep. 266 Nr. 4436

Viele der im Bestand verzeichneten Erbhofakten enthalten daher Unterlagen, die sich mit der Überprüfung des Erbhofstatus eines Hofes und der Abstammung und „Bauernfähigkeit“ ihres Besitzers oder dessen Erben befassen. So endet beispielsweise die Erbhofakte des Viehhändlers Wilhelm Renner aus Oederquart im Jahr 1943 mit der Feststellung der NSDAP-Kreisleitung, dass Renners Großvater ein konvertierter Jude war (siehe Bild 1).

Die Lenkung der landwirtschaftlichen Produktion durch den NS-Staat zeigt sich in den Akten der Kreisbauernschaft insbesondere in Form von Mahnungen und Strafanordnung bei Nichteinhaltung der Abgabevorgaben durch die Landwirte. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die Akte des August Schütte aus Twielenfleth. Nach dessen Bestrafung für die Verwendung von abzugebender Milch für die ungenehmigte Eigenproduktion von Butter beschwerte sich die Stader Außenstelle des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS noch Ende März 1945 bei der Kreisbauernschaft, dass die Strafe zu gering ausgefallen sei, und forderte, es müsse „ohne jegliche Rücksicht gegen Schütte vorgegangen werden“ (siehe Bild 2).

Des Weiteren enthalten die Akten unter anderem gerichtliche Verzeichnisse der Höfe mit ihrer Adresse, ihrem Besitzer und ihrer Größe; Verträge zur Pacht, zum Erwerb/Verkauf, oder zur Vererbung von Grundstücken (welche durch den Reichsnährstand genehmigt werden mussten); Denunziationen und Beschwerden; sowie Urlaubsgesuche der Bauern für Angehörige im Militär- oder Arbeitsdienst. Daher sind die Akten zu den Erbhöfen außerordentlich ungleichförmig und unterscheiden sich in ihrer Ausführlichkeit. Auch weisen die in den Akten verzeichneten Höfe große Unterschiede auf. Neben Höfen, die wegen ihrer geringen Größe keinen Erbhofstatus erlangen konnten, sind auch die Mühlenbetriebe des Kreises, sowie die zum Teil über einhundert Hektar großen Besitztümer der lokalen Adelsfamilien unter den verzeichneten Höfen.

Seit wenigen Wochen sind die Akten der Kreisbauernschaft Stade (NLA ST Rep. 266) in Arcinsys ausführlich verzeichnet, wodurch insbesondere die Inhaltsangabe jeder einzelnen Akte online einsehbar ist. Damit wird die Nutzung dieses besonderen Bestandes für die Forschung deutlich vereinfacht.

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