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Ein Graffito für die Abteilung Osnabrück

Trennwand des Osnabrücker Archivs eröffnet Einblicke ins Magazin


Gesamtansicht des Archiv-Graffitos der Osnabrücker Abteilung des Landesarchivs: auf einer Gesamtlänge von 19 Metern sind archivalische Quellen von Mittelalter bis in die Gegenwart zu sehen Bildrechte: NLA OS
Gesamtansicht des Archiv-Graffitos der Osnabrücker Abteilung des Landesarchivs: auf einer Gesamtlänge von 19 Metern sind archivalische Quellen von Mittelalter bis in die Gegenwart zu sehen
Dass ein Graffito keine Wandschmiererei sein muss, sondern ein richtiges Kunstwerk sein kann, beweist in diesen Tagen die Osnabrücker Künstlergruppe „Bunte Hunde“ an einer Wandfläche der Abteilung Osnabrück des Niedersächsischen Landesarchivs. Ein großes Kunstwerk bestehend aus einer Zusammenstellung von Archivalien aus rund 1.000 Jahren Osnabrücker Geschichte ziert jetzt die Trennwand zum Neubaumagazin am Schlosswall. Fußgänger, Rad- und Autofahrer, die am Schlosswall das Magazingebäude passieren, können jetzt schnell erkennen, wo die Osnabrücker Abteilung des Landesarchivs beheimatet ist.

Die Trennwand zwischen Schlosswall und Magazin war für (illegale) Sprayer in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund ihrer prominenten Lage eine beliebte Projektionsfläche. Leider waren viele dieser Bilder alles andere als sehenswert und bestanden in der Regel ausschließlich aus der Signatur des Sprayers, dem sogenannten Tag. Nach der letzten Spray-Aktion im August 2021 war nun ein kostspieliger Anstrich der Waschbetonwand erforderlich. Allerdings: Bei einem Gang durch Osnabrück fallen immer wieder ansprechende Wandbilder und Graffiti auf. Sie gehören heute als „Kunst im öffentlichen Raum“ zum Stadtbild, vermutlich in fast jeder Kommune. Sie sind Ausdruck einer bestimmten Szene und schon längst auch in der zeitgenössischen Kunst angekommen. Es gab und gibt also in unserem Fall gute Gründe unsere Trennwand von Profis mit einem ansprechenden Archiv-Motiv aufpeppen zu lassen. Denn Graffitikunst ist schon lange nicht mehr stets illegal und ihre Künstler sind nicht den Tag verschlafende Nachtschwärmer.

Christian Aretz, Maler in der Künstlergruppe „Bunte Hunde“, konnte für diese Auftragsarbeit gewonnen werden. In einem längeren Prozess lernte er uns als Archivarinnen und Archivare, unsere Arbeit und unseren Auftrag sowie unsere Archivalien kennen, stellte bei einer Führung durch das Magazin eine Fülle an Fragen und schoss viele Fotos. Durch seine empathische Art und seine ausgeprägte Beobachtungsgabe wuchs schnell Vertrauen und es entstanden Ideen für Motive: es sollte die Bandbreite der archivalischen Überlieferung dargestellt werden, von der mittelalterlichen Pergamenturkunde bis zu dem Datenfluss im digitalen Zeitalter, ins Bild gesetzt durch den Matrix-Binärcode. Daneben sollten die „Hard-Facts“ wie die Einrichtung („Archiv“ und „Osnabrvga“), das Entstehungsjahr (2021) oder die Künstlergruppe („Bunte Hunde“), Details zu den Archivaliengattungen (u.a. Pergamenturkunden, Siegel, Zeitungen, Stempel, Amtsbücher, Akten, Karteien, Zeitungen, digitale Daten), zur Aufbewahrung (u.a. Archivkartons, Regale, Aktenordner) und zum Suchen und Finden der Unterlagen (u.a. Signaturen, Arcinsys) im Graffito zur Sprache kommen.

Profi an der Spraydose: Christian Aretz gestaltet das Monogramm König Ottos I. Bildrechte: NLA OS
Profi an der Spraydose: Christian Aretz gestaltet das Monogramm König Ottos I.

Für den Künstler war es wichtig, dass auch die beiden unbekannten Sprayer in das Kunstwerk integriert werden. Die zwei wollen natürlich aufgrund ihres illegalen Tuns unbekannt bleiben, wenngleich sie gleichzeitig – so Aretz – auch von dem Wunsch getrieben werden, als Künstler wahrgenommen und gesehen zu werden. Ihr Werk wurde zwar zuerst übermalt und dann übersprüht, aber in dem Wandgemälde tauchen die Namen der beiden „ersten“ Sprayer wieder auf. Sie leben in dem zweiten Werk weiter. „Denn wenn eine Wand professionell besprüht wurde, wird sie von anderen in Ruhe gelassen“, sagt Christian Aretz. Ein Ehrenkodex, an den sich seinen Angaben zufolge, die meisten Sprayer halten. Sofern sich also ungebetene Sprayer zurückhalten, brauche sich das Archiv für die nächsten 10 bis 15 Jahre keine Sorgen machen. Denn so lange seien die professionellen Farben vor dem Verblassen geschützt, so Aretz.

Das Ergebnis begeistert: Wo vorher nichts bzw. wenig Ansehnliches war, entstand ein Wandgemälde, das mit viel Liebe zum Detail allen Vorbeigehenden Einblicke in das Innenleben unseres Magazins bietet und unsere Arbeit positiv präsentiert und besetzt. Dabei setzt der Künstler weniger auf eine fotorealistische Abbildung, sondern durch Outlines wird Vieles angedeutet und erinnert damit etwas an das Genre „Comic“.

Schon die Erstellung des Graffitos war ein kommunikatives Geschehen: Betrachtende Passanten verwickelten den Künstler oder die beobachtenden Kolleginnen und Kollegen der Abteilung in Gespräche über unser Archivgut und unsere Arbeit. Das Archiv „strahlt“ und „glänzt“ durch das neue Graffito nach außen. Dabei verzichtet das Gemälde bewusst auf eine saubere Perfektion: Manches in dem Gemälde entstand spontan und zufällig; das Verlaufen der Farbe ist gewollt, denn die Farbe hat ihre eigene Freiheit. So wie wir das Archivgut nicht „kontrollieren“ so hat auch der Künstler die Farben nicht in der Hand und es ergeben sich zuweilen ganz überraschende und neue Erkenntnisse, so wie bei der Arbeit mit den Quellen im Lesesaal.

Durch die Vorgaben der Archivarinnen und Archivare im Zuge dieser konkreten Auftragsarbeit und der fantasievollen Interpretation und den Vorstellungen des Künstlers über das Archiv, seine Mission und sein Archivgut entstand ein einzigartiges und vor allen Dingen ein schönes Gemälde, so unikal und wunderschön wie unser Archivgut und sein Archiv. Aber auch hier gilt natürlich: Es handelt sich um Kunst, und die ist immer Betrachtungssache!

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